Frühlingslieder oder warum eine reflektierte Musiklehrerbildung wichtig ist

Und wieder wird es Frühling. Und noch immer kennen Leute „Es geht eine helle Flöte“. Daher folgender Erfahrungs- und Forschungbericht:

In meiner Praxis ist das Singen, der Gebrauch der Stimme unweigerlich der zentrale Inhalt von dem der Unterricht ausgeht. Zuerst singen wir die Lieder, dann spielen wir sie auf dem Instrument nach. Singen ist sehr wichtig. So fragte ich  mich wieder einmal im Frühling, welche Frühlingslieder es gibt, denn ich suchte immer wieder nach neuen, selten gesungenen Liedern, jenseits des Mainstreams. Es gibt ja unglaublich viele und so wenige werden nur in der Schule gesungen. Das wurde eine sehr erkenntnisreiche Recherche:  „Oh wie ist es kalt geworden“ ist kein Frühlingslied, sondern ein Sehnsuchtslied nach dem Frühling, das im Winter gesungen wird. Am Rande bemerkt: Geschrieben von Hoffmann von Fallersleben (Überhaupt bemerkenswert, wieviele Lieder von ihm bekannt geworden und in die Geschichte eingegangen sind). Aber auch: Wer weiß schon, dass „Komm lieber Mai und mache“ kein Frühlingslied ist, sondern genauso die Sehnsucht nach dem Frühling ausdrückt, denn der Originaltitel von Mozart heißt ja „Sehnsucht nach dem Frühling“ (K.596). Leider hat sich da wohl nur der Liedanfang, wie so manches Mal, durchgesetzt.

Das aber überraschende Beispiel, woran ich jetzt im beginnenden Frühling wieder erinnert wurde,  war „Es geht eine helle Flöte“ von Hans Baumann Hans Baumann Bio. Nach Thomas Phleps ist es „eines der wenigen vermeintlich harmlosen Lieder Hans Baumanns“, der  als führender ‚ Text- und Melodieproduzenten der HJ dieses Lied 1938 schrieb. ( Quelle:  Wikipedia ; Thomas Phleps Uni Gießen: „Es geht eine helle Flöte…“Einiges zur Aufarbeitung der Vergangenheit in der Musikpädagogik heute (erschienen in: Musik & Bildung 27. 6/1995, S. 64-74) Nicht unbegründet wird Hans Baumann von Schreckenberg als „Hitlerbarde“ bezeichnet (Schreckenberg, Heinz: Der Hitler-Barde Hans Baumann und sein Wirken vor 1945. Ein katholisches Janusgesicht. Berlin: Dr. Köster 2009) Nach Information des Kölner Dokumentationzentrum (eigene E-Mail Korrepondenz von 2013) war das Lied in seiner Rezeptionsgeschichte sogar ein HJ-Lied. 

Hier der Text:

Es geht eine helle Flöte,
der Frühling ist über dem Land.
Birken horchen auf die Weise,
Birken und die tanzen leise.
Es geht eine helle Flöte,
der Frühling ist über dem Land.

Es geht eine helle Flöte,
der Frühling ist über dem Land.
Warten da drei rote Buchen,
wollen auch den Tanz versuchen.
Es geht eine helle Flöte,
der Frühling ist über dem Land.

Es geht eine helle Flöte,
der Frühling ist über dem Land.
Und der Bach, der hört das Singen,
wild und polternd muß er springen.
Es geht eine helle Flöte,
der Frühling ist über dem Land.

Es geht eine helle Flöte,
der Sommer ist über dem Land.
Tausend Halme zitternd stehen,
hören sie die Flöte gehen.
Es geht eine helle Flöte,
der Sommer ist über dem Land.

Bei genauer Betrachtung lässt sich leicht nachvollziehen, dass das Lied einen doppelten Boden hat und aufgeladen ist mit politsch zu deutenden Methaphern. Mit dem Hintergrundwissen über die Entstehung des Liedes 1938, über die damalige politische und historische Situation und Baumanns Funktion als HJ-Komponist, versteht man auch die in Naturbeschreibungen chiffrierte, verschlüsselte politische Botschaft darin: Frühling als Methapher für Neubeginn, für das Erwchsen der neuen Kräfte nach dem Wintersschlaf. Zu deuten als (politische) Aufbruchstimmung, „Birken“ könnten Anspielungen auf die Länder im Osten sein. Flöte als ältestes Instrument: Beständigkeit, als Symbol für Verlockung (Rattenfänger), Versuchung, Glück, die eingesetzt wird wie eine „Zauberflöte“; Flöte verkündet die freudige Zukunft, den politschen Aufbruch. Besonders bei der letzten Strophe irritiert der Satz „Tausend Halme zitternd stehen“ was gedeutet werden kann als das ein ganzes Heer dort in freudiger Erwartung steht. Schließlich ist es im Sommer angekommen und das Werk ist mit dem Sommer vollendet. Anders zusammengefasst: Das Herr der tausend „Halme“ sind in freudiger Erwartung, wenn das Werk vollbracht ist. Baumann spielt dabei vermutlich auf eine politische Situation 1938 an. Doch ganz unreflektiert wird dieses Lied immer noch im Unterricht gesungen und Kollegen, die es kennen, verwenden es ohne Nachzudenken.

Es zeigt sich, wie wichtig weiterhin eine reflektierte Musiklehrerbildung ist. Als MusiklehrerIn ist man unbedingt auch wegen solcher Fälle wie bei der Frage, von wem kommt eigentlich mein Lied, das ich da singe, als Forscher gefragt. Jede/r der/die seine Aufgabe als Musiker und Musiklehrender eingeht, hat die Aufgabe, Gewohntes zu hinterfragen. Und Neues zu erfinden, wenn das Bekannte nicht mehr passt.

 

Literatur:

Hodek, Johannes: Musikalisch-pädagogische Bewegung zwischen Demokratie und Faschismus. Zur Konkretisierung der Faschismus-Kritik Th. W. Adornos. Weinheim u. Basel 1977.   Johannes Hodek (in Heister/Klein 1984, 26f.; ders. „Der Hitlerbarde Hans Baumann“

Hodek, Hodek: Ethos der Prüderie. In: Hanns-Werner Heister, Hans-Günter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland (= Fischer Taschenbuch 6902). Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-26902-4, S. 26 f. ).